Level 0
Kapitel

Kap.1.2 Aufwachen#

03.04.2138
In ihrem Traum trug Elsbeths jüngster Sohn Randall einen sauberen Arbeitsoverall mit dem Emblem der Jupiter-Station und sein dunkles Haar war kurz und ordentlich geschnitten. Obwohl er älter war, hatte er noch das Gesicht eines achtzehnjährigen Jungen, auf dessen Oberlippe sich gerade ein Bart ans Licht kämpfte. Es war das Gesicht, das sie so sehr liebte. Sein Auftreten war selbstbewusst und fröhlich, und seine Kollegen begrüßten ihn respektvoll. Er war ein geschätztes Mitglied der Gesellschaft, dessen Arbeit hoch anerkannt wurde.

Sie hatte fünf Kinder geboren, von denen nicht alle noch lebten. Sie liebte sie alle, aber ihr Jüngster hatte immer die meiste Zuwendung gebraucht, und sie hatte ihm ihre mütterliche Wärme gerne gegeben. Vielleicht zu gern. Elsbeth hatte ihn verwöhnt. Nachdem ihr zweitjüngster Sohn verunglückt war, hatte sie Randall so sehr an ihre Mutterbrust gedrückt, dass er sich kaum mehr frei entwickeln konnte.

In ihrem Traum wusste sie, dass sie ihn so erträumte – einen Sohn, den sie gerne gehabt hätte, zu dem er sich aber nicht entwickelt hatte. In Wahrheit war Randall auf Abwege geraten, und sie fühlte sich schuldig. Er hatte sich ganz und gar nicht zu einem nützlichen Mitglied der Jupiter-Station entwickelt, und er arbeitete nur, wenn es unbedingt sein musste. Mit seinen achtundzwanzig Jahren lavierte er sich mit langem, fettigem Haar durchs Leben.

Elsbeth ergriff seine Schultern und schüttelte ihn heftig. Randall musste endlich für sich selbst sorgen. Das Schütteln wurde intensiver und übertrug sich auf ihre eigenen Schultern. Es verwandelte sich von einem Schütteln in eine Massage, als würde sie sich mit ihrem Rücken an einem Meeresstrand reiben. Die Wellen brandeten sanft an den Strand, zogen sich langsam zurück, nur um kurz darauf erneut den Sand am Ufer zu überspülen.

Sie öffnete die Augen und sah die Sonne am Horizont über dem Meer aufgehen. Sie war aus ihrem Traum erwacht und erkannte, dass sie nicht am Meer lag, sondern in einer Torpor-Kapsel. Ihre Liege massierte ihren Körper, während die Geräusche von Lautsprechern neben ihrem Kopf stammten. Die vermeintliche Sonne war lediglich die Beleuchtung der Kapsel.

Eine sanfte, beruhigende Stimme ertönte: „Gutes Erwachen, Elsbeth. Alles ist gut. Nehmen Sie sich Zeit, um wach zu werden. Ich werde auf Sie aufpassen.“

Elsbeth erkannte Leifs Stimme. Sie war also immer noch auf dem Raumschiff. Natürlich, wo auch sonst? Ihr Jüngster war Millionen Kilometer von ihr entfernt, getrennt durch den unüberwindlichen, leeren Weltraum, und ihr wurde klar, dass sie ihn wohl niemals wiedersehen würde. Langsam schlummerte sie abermals ein. Sie wusste später nicht, für wie lange. Fetzen eines zusammenhanglosen Traumes vom kalten Weltraum, von Raumschiffen in gleißendem Licht und ihren weit entfernten Kindern wehten durch ihr umnebeltes Gehirn.

„Elsbeth, Sie müssen jetzt wach werden“, hörte sie Leifs eindringliche Stimme aus der Ferne. „Versuchen Sie, Ihre Augen offenzuhalten. Meine Assistenten werden alle Schläuche aus Ihrem Körper entfernen.“

Die Wärme strömte aus der Oberfläche der Liege in ihren Körper und versuchte, die Kälte aus ihren Knochen zu verdrängen. Eine Kälte, die sie immer noch tief in ihrem Innern spüren konnte, auch wenn es inzwischen eher eine kalte Taubheit als eine tatsächliche Kälte war. Es war nicht ihr erstes Erwachen aus einem Torpor-Schlaf. Es war eine Art Winterschlaf, bei dem der menschliche Körper mit dem Winterruhehormon HIT bis auf wenige Grad Celsius über null heruntergekühlt wurde. Der Puls fiel auf drei bis vier Schläge pro Minute und der Sauerstoffverbrauch sank auf zwei Prozent des Normalen. Während des Aufweckens durfte die Körpertemperatur nur um ein Viertel bis ein halbes Grad Celsius pro Stunde steigen. Wenn dies behutsam und mit Unterstützung entsprechender Hormone und Medikamente erfolgte, bestand nur eine sehr geringe Gefahr, dass der Körper des Schlafenden geschädigt würde.

Elsbeth hoffte, dass ihr Körper alles problemlos überstanden hatte. Bisher fühlte sich alles gut an, auch wenn der Nebel in ihrem Kopf nur langsam schwand.

Allmählich fuhr der Deckel der Torpor-Kapsel nach oben und gab den Blick auf die Decke frei. Doch es war keine einfache Raumdecke. Sie bestand aus einem riesigen Visor – einer hochmodernen, ultraflachen Anzeige, welche die Außenwelt oder simulierte Umgebungen in höchster Auflösung darstellte. Wolken zogen auf dem Visor langsam über den Himmel, vom purpurblauen Licht der aufgehenden Sonne angestrahlt.

Elsbeth versuchte, sich aufzurichten, was ihr aber nur mithilfe eines von Leifs Assistenten gelang. Kaum erhoben, erblickte sie an der gegenüberliegenden Wand einen weiteren Visor, der ein Meer zeigte, auf dem sich kleine Wellen kräuselten und ruhig auf einem weißen Strand ausliefen. Am Horizont erhob sich der oberste Rand der Sonne aus dem Wasser, während Seevögel in der Ferne über den Himmel glitten.

Langsam nahm Elsbeth ihre Umgebung wahr. Links standen zwei weitere Torpor-Kapseln. Auch der Boden des Raumes war ein großer Visor, der die Illusion eines von der Sonne glitzernden Sandstrandes simulierte. Als sie ihre Füße auf den Boden stellte, hinterließen sie Abdrücke, als würden sie den Sand beiseiteschieben, obwohl der Boden glatt war. Wie angenehm warm er war! Hinter den Torpor-Kapseln erstreckte sich ein tropischer Wald von einer Seite des Raumes zur anderen. An den Rändern verlor sich der Wald und vereinte sich in der Weite mit dem simulierten Meer. Dazu hörte sie das leise Wellenrauschen und die Geräusche von fernen Tieren im tropischen Wald.

Innerlich verfluchte Elsbeth ihr Alter. Mit achtundfünfzig Jahren und ihrem etwas verlebten Körper war das Erwachen aus dem Tiefschlaf anstrengend. Sie saß auf der Kante ihrer Liege und strich sich ihre hellblond gefärbten Haare nach hinten. Ungeschminkt musste sie schrecklich aussehen. Vor dem Torpor war es verboten, sich zu schminken, man durfte nur eine schützende Creme auftragen. Elsbeth war es nicht gewohnt, ihr gealtertes Gesicht der Öffentlichkeit so ungeschützt preiszugeben. Sie sah an sich herunter. Das Gute am Torpor war, dass er die angenehmste Art der Gewichtsabnahme darstellt. Je nach Kalorienzufuhr während des Torpors konnte beinahe jedes Wunschgewicht erreicht werden. Ihr Körper wirkte schlanker, die leichten Speckringe waren verschwunden. Jeder konnte sehen, dass ihre Haare blond gefärbt waren, während die natürliche Farbe an den Wurzeln – ein Straßenköterbraun – wieder sichtbar wurde. Ihre Fingernägel waren nun schön lang – vielleicht zu lang. Ihre äußere Erscheinung musste grässlich sein. Das wollte sie so schnell wie möglich ändern.

Sie schaute sich um, obwohl alles noch etwas verschwommen aussah. Die beiden anderen Torpor-Kapseln hatten ihre Schlafenden bereits entlassen. Sie waren wohl etwas früher erwacht. Ein großer, athletischer Mann Anfang dreißig mit rotbraunem, lockigem Haar und eine mittelgroße Frau Mitte dreißig mit mütterlicher Figur und mittellangen, braunen Haaren. Beide saßen und hatten ihre Füße auf die warme Sandimitation des Bodens platziert. Die Frau hatte ihre Augen geschlossen und stützte sich schwer auf den Rand der Kapsel.

Elsbeths Blick war noch nicht ganz klar. Vielleicht sollte sie ihre Augen auch noch geschlossen halten. Der Mann sah Elsbeth mit einem schiefen Lächeln an und krächzte: „Na, auch endlich wach geworden? Ich dachte schon, du wolltest noch einmal eine Schlummerrunde einlegen.“ Das letzte Wort ging in einen Husten über, und er spuckte Schleim in einen dafür vorgesehenen Behälter.

Das war Moss Pederson, der Astrobiologe, ein Neuseeländer, der immer für einen Scherz zu haben war. Sie wollte ihm antworten, aber ihre Stimme funktionierte noch nicht richtig. Aus Elsbeths Mund kamen nur krächzende Geräusche, und auch sie musste ausspucken.

Moss lächelte wissend und begann mit Sprechübungen. Er formte lächerliche Silben und Folgen sinnloser Wörter: „Blieeee bluuppp blap, blieee blupp, wuschsss, hussss, hoho, lolooo …“.

Elsbeth wusste, sie sollte diese Übungen jetzt auch machen, um ihre Gesichtsmuskeln zu aktivieren, aber sie war noch wie taub und wollte einfach nur ruhig dasitzen und den Nebel in ihrem Kopf verziehen lassen.

Die Frau, Angelique Trudeau, Ärztin der Mannschaft, saß mit glasigen Augen auf der Liege, ihre Bewegungen langsam. Es sah noch nicht so aus, als ob sie schon jemandem medizinische Hilfe anbieten konnte. Bisher bewegte sie nur langsam ihren Kopf in alle Richtungen, um die Halsmuskulatur zu lockern - immer noch mit verkniffenen Augen und geschlossenem Mund.

Aus dem Hintergrund traten Leifs Roboterassistenten an die Liegen und boten Becher mit warmen Getränken an, damit sich der Magen langsam wieder an seine Aufgabe gewöhnen konnte.

Moss nickte dankbar, obwohl die Assistenten nicht darauf reagieren würden, aber so war Moss. Immer freundlich, und er hatte für alle, ob Mensch oder Maschine, stets ein nettes Lächeln übrig. Geräuschvoll schlürfte er aus seinem Becher.

Einer der Assistenten sprach Elsbeth leise an: „Möchten Sie ein Tuch, um Ihre Augen zu säubern?“ Er hielt ihr aufmerksam ein Stück Stoff entgegen.

Die Assistenten waren menschenähnlich, aber deutlich als Automaten zu erkennen. Obwohl möglich, verzichteten sie meistens auf ausgeprägte Mimik oder zu menschlich wirkende Bewegungen. Dadurch wurde eine klare Grenze zwischen Menschen und Maschinen gezogen und eine Vermenschlichung der Assistenten vermieden.

Elsbeth hatte sich längst daran gewöhnt. In ihrer früheren Arbeit hatte sie Putzkolonnen von Robotern beaufsichtigt, welche Raumschiffe und Stationen sauber hielten. Wenn sie frustriert oder unausgeglichen war, ließ sie ihre Launen gerne an den Robotern aus, da diese niemals verärgert reagierten oder sich wehrten. Ihr war bewusst, dass das eine ihrer Schwächen war.

Daher dachte Elsbeth: ‚Pass auf, dass du nicht wieder die Roboter anpöbelst. Du bist nicht allein und musst dich hier benehmen. Wenn du von diesen Leuten akzeptiert werden willst, musst du dich anpassen und deine neue Rolle lernen. Also, alte Schlampe, du bist keine Putze mehr. Lerne und pass dich an. Tu das, was du am besten kannst und dein Leben lang trainiert hast: Deine Rolle spielen und Menschen für dich einnehmen. Überlebe!‘

Elsbeth überlegte, wie lächerlich alles von außen aussehen musste: drei erwachsene Menschen in weißen, langen Hemden, von Pflegern bemuttert. Dabei plapperten sie alle drei unsinnige Töne und Wortfolgen vor sich hin, wie kleine Kinder bei ihren ersten Sprachübungen. So war es auch: Die Stimmbänder mussten nach monatelangem Tiefschlaf erst wieder lernen, zu sprechen.

So zog sich die Aufwachprozedur über mehrere Stunden hin. Gestützt von den Assistenten versuchten sie ihre ersten Schritte und wurden anschließend in einen Nebenraum gebracht, um an Fitnessgeräten leichte Übungen zu absolvieren. Elsbeth war älter und nicht so gut trainiert wie die anderen und wurde bald müde. Ihr Assistent brachte sie deshalb schnell wieder zu ihrer Torpor-Liege, wo sie sich massieren ließ und schließlich entspannt einschlummerte.

Sie kam zu sich, geweckt von Moss’ und Angeliques Gespräch, deren Stimmen noch rau vom Schlaf waren. „Hast du im Gang auf den Visor zur Außenwelt gesehen?“, fragte Angelique mit ihrer hohen Stimme.

„Nicht wirklich. Was soll da schon sein? Sterne und irgendwo ein kleiner Pluto“, krächzte Moss mit seinem tiefen Bass.

„Hey hey, ein bisschen mehr Enthusiasmus, bitte! Dafür sind wir über fünf Milliarden Kilometer hierher geflogen.“

„Ja sicher, mein Kopf weiß nur noch nicht wieder, was Enthusiasmus ist. Sehr groß kann Pluto bisher nicht sein, nur ein helles Loch in der Dunkelheit, wir sind Wochen vor Ankunft aufgeweckt worden“, versuchte Moss zu witzeln.

Angelique erwiderte in ernstem Tonfall: „Nein, da ist nichts, Moss, nur Sterne.“

„Ach was, du konntest nur nicht alles sehen, wahrscheinlich hat sich Pluto hinter dem Triebwerk versteckt. Die Tanks für die Stützmasse sind sehr ausladend.“

Elsbeth hatte versucht, sich vor dem Torpor etwas schlauzumachen, damit sie nicht ganz so unwissend wirkte. Sie lebte zwar schon länger im Weltraum, aber die besonderen technischen Eigenschaften der Thjodhild waren ihr bisher unbekannt gewesen. Die rotierenden Kreissegmente, die Tori, erzeugten durch Zentrifugalkraft eine künstliche Schwerkraft. Diese Tori bestanden aus miteinander verbundenen Gondeln, die ringförmig um die Zentralachse der Thjodhild angeordnet waren. Eine Besonderheit war, dass sich die Gondeln selbst drehen konnten, je nachdem, aus welcher Richtung die Schwerkraft kommen sollte.

Während des freien Flugs ohne aktives Triebwerk erzeugte die Rotation der Tori eine Schwerkraft, die die Besatzung scheinbar nach außen zum Weltraum drückte. Während der Beschleunigung hingegen wirkte die Schwerkraft aus der Richtung des Antriebs. In diesem Fall wurden die Gondeln so ausgerichtet, dass ihr Boden zum Triebwerk zeigte. So hatte die Besatzung in beiden Szenarien stets ein konsistentes Gefühl von „unten“.

Durch dieses Wissen konnte Elsbeth jetzt mit einer klugen Frage glänzen: „Müssten wir uns nicht eigentlich im Abbremsvorgang befinden? Sollte da nicht ein Andruck vom Triebwerk spürbar sein? Die Böden der Torusgondeln sind nach außen für die künstliche Schwerkraft ausgerichtet und nicht nach unten für den Triebwerksschub. Außerdem müssten wir doch den Fusionsstrahl des Triebwerks sehen können, oder?“

Es dauerte eine Weile, bis sie eine Antwort bekam, als ob beide sich diese erst überlegen mussten. Hatte sie etwas Dummes gesagt?

„Für eine ehemalige Putze, die frisch aus dem Torpor erwacht ist, ist das eine sehr kluge Feststellung. Aus dir wird noch einmal eine echte Astronautin“, erwiderte Moss freundlich.

„Wow, Elsbeth hat recht. Wie peinlich, das hätte mir auffallen sollen“, meinte Angelique erstaunt. „Wir sollten mal die anderen fragen. Leif, kannst du uns bitte eine Verbindung zum anderen Torpor-Raum herstellen?“

Leifs Stimme erklang emotionslos in der Kammer. „Sicher. Ich frage, ob sie schon so weit sind.“

Alle sahen in Richtung der aufgehenden Sonne. Sie stand zwar etwas höher am Himmel, sodass sie mehr Licht ausstrahlte, doch es war immer noch eine Morgenstimmung, obwohl seit dem Sonnenaufgang schon mehrere Stunden vergangen waren. Natürlich war dies keine reale Aufnahme, sondern nur eine Simulation, um den Menschen ein angenehmes Gefühl zu vermitteln. Sie waren Milliarden Kilometer von der Erde entfernt; hier draußen im All gab es keinen Sonnenaufgang.

Nach einer Minute erschien auf dem Visor das Ebenbild ihrer Torpor-Kammer mit drei anderen Menschen, zwei Frauen und einem Mann. Auch sie saßen oder lagen auf ihren Torpor-Liegen, ihre Bewegungen langsam und fahrig. Eine der Frauen rieb sich die Augen, während der Mann sich schwerfällig aufrichtete und für einen Moment reglos sitzen blieb. Im Hintergrund waren der gleiche tropische Wald und der Sandstrand wie in Elsbeths Kammer zu sehen.

Die eine Frau war Lu Wu, die stellvertretende Kommandantin und Pilotin. Die Chinesin saß auf ihrer Liege und schaute mit regungslosem Gesicht zu ihnen auf.

Lu Wu kam sofort zur Sache. „Gut, dass ihr euch meldet. Wir hatten auch daran gedacht, euch zu kontaktieren. Hat Misha schon Kontakt zu euch aufgenommen?“

Auf der Thjodhild wurde Englisch gesprochen. Lu sprach mit deutlichem Akzent. Sie war nicht unfreundlich, aber manchmal etwas direkt und leidenschaftslos. Daher fügte die zweite Frau, Kiyoe Kobayashi, die japanische Planetenphysikerin, freundlich hinzu: „Gutes Erwachen. Es freut mich, euch alle wohlauf zu sehen. Wir haben bereits unsere ersten kleinen Übungen hinter uns.“

Das dritte Mitglied der Truppe in der anderen Torpor-Kammer war Qaaqqukannguaq Taipanak, aufgrund seines schwer aussprechbaren Vornamens einfach Qaaqqu genannt. Obwohl die Herkunft seines Vornamens große Bedeutung für ihn hatte, nahm er diese Verkürzung gelassen hin oder bot sie sogar selbst an. Er war ein ruhiger, freundlicher Mensch, ein Glaziologe und Planetologe mit bemerkenswerten Fähigkeiten in seinem Fachgebiet. Vielleicht lag es daran, dass er Kanadier mit einem ausgeprägten Bewusstsein für seine Inuitvergangenheit war. Qaaqqu war ein kleiner, drahtiger Mann mit distanzierter Ausstrahlung, aber immer freundlichem Gesicht.

Auch jetzt sagte er nichts, aber sein Gesicht mit den dunklen Augen nickte Elsbeth, Angelique und Moss mit einem warmen Lächeln zu.

Moss erwiderte: „Auch wir wünschen euch ein gutes und erholsames Erwachen. Wir haben unsere ersten Übungen auch schon mehr schlecht als recht absolviert …“ Er musste husten, konnte nicht weiter sprechen, und das nutzte Angelique, um Lus Frage zu beantworten:

„Ich habe versucht, Misha zu kontaktieren. Er meldete sich allerdings nicht persönlich, sondern ließ durch Leif ausrichten, dass er schon länger wach sei und es ihm gut gehe. Ich solle mich erst erholen. Und mir keine Sorgen machen. Er würde später Kontakt zu mir aufnehmen.“

Es war allgemein bekannt, dass Misha und Angelique eine intime Beziehung unterhielten. Irritiert ergänzte Angelique: „Merkwürdige Äußerung von Misha. Wieso sollte ich mir Sorgen machen?“

„Ich habe eine ähnliche Erwiderung bekommen. Seltsam“, antwortete Lu.

„Kannst du dir einen Reim darauf machen?“

„Mm … ich weiß nicht …“ Lu versuchte, einen besorgten Gesichtsausdruck zu unterdrücken.

Alle sahen Lu an und warteten ab.

Als sie nichts mehr sagte, merkte Moss an: „Angelique konnte aus dem Visor keinen Pluto sehen, und unsere angehende Astronautin Elsbeth hat eine aufmerksame Beobachtung gemacht: Es gibt keinen Triebwerksandruck!“

Alle außer Lu sahen Elsbeth an. Sie wusste nicht, ob sie darüber erfreut sein sollte, stand ihr doch so eine technische Äußerung nicht zu. Dachten die anderen jetzt, sie sei vorlaut gewesen?

Lu sagte aber, ohne in die Kamera zu schauen: „Das ist mir auch schon aufgefallen. Wir sollten da nicht zu viel hineininterpretieren. Das kann viele Gründe haben.“

„Aber irgendeinen Grund hat es!“ Es war das erste Mal, dass Qaaqqu sich langsam und bedächtig zu Wort meldete. „Und Misha weiß die Antwort, und sie ist nicht angenehm, sonst wäre er schon hier.“

Das Offenkundige dieser Aussage verschlug allen die Sprache.


Weiter geht es mit#

Kap.1.3 Schlechte Nachrichten